Päpste in Altötting
Alle Welt spricht vom Papst
Das lange Leiden und der Tod von Papst Johannes Paul II. am 2. April haben die ganze Welt bewegt. Genauso am 19. April die Wahl seines Nachfolgers Benedikt XVI., mit dem zum ersten Mal seit fast einem halben Jahrtausend ein Kardinal aus Deutschland, aus Bayern, den Stuhl Petri bestiegen hat. Noch kaum jemals zuvor haben weltweit die Medien, auch jene, für die Kirche und christlicher Glaube gewöhnlich kein Thema sind, so ausgiebig und durchwegs positiv über Päpste und die Kirche berichtet und kommentiert, wie in diesen Monaten. Auch in Altötting waren Trauer und Freude groß beim Tod des alten und der Wahl des neuen Papstes, denn zu beiden steht der Wallfahrtsort in einer besonderen Beziehung. Unvergessen ist der Besuch von Papst Johannes Paul II. am 18. und 19. November 1980, fast genau zwei Jahre nach seiner Wahl. Es war ein persönlicher Wunsch des Papstes aus Polen gewesen, dass das bayerische “Nationalheiligtum” eines der Ziele seiner ersten Deutschlandreise wurde. Und groß war die Freude, als damals, im Sommer 1980, die Nachricht aus Rom kam: Der Papst wird Altötting besuchen.
Gerne erinnern wir Altöttinger uns an jene zwei Novembertage. An die Ankunft des Papstes am späten Nachmittag mit dem Hubschrauber von Fulda her, den Empfang im Altöttinger Sportstadion durch den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und den Erzbischof von München und Freising, Joseph Kardinal Ratzinger, die Fahrt durch die Straßen der Stadt zum Kapellplatz, den Besuch in der Gnadenkapelle, den großen Gottesdienst auf dem mit 60.000 Menschen gefüllten Kapellplatz und die Predigt, die symbolische Pflanzung der Linde vor dem Bruder-Konrad-Kloster, die Begegnung mit Kranken und Behinderten in der Basilika, die Begegnung des Heiligen Vaters mit deutschen Theologen im St. Konrad-Kloster, wo der Heilige Vater auch übernachtete, und den Abschied am nächsten Morgen am Altöttinger Bahnhof.
An diesen Papstbesuch, der sicher zu den großen Ereignissen in der Altöttinger Wallfahrtsgeschichte zählt, erinnert unter anderem die erwähnte Papst-Linde, die mittlerweile zu stattlicher Größe herangewachsen ist. Es erinnert an ihn das Gebet vor dem Gnadenbild Unserer Lieben Frau, das uns Papst Johannes Paul in schriftlicher Form hinterlassen hat, und es erinnert an ihn und seinen Besuch in Altötting das 1984 errichtete überlebensgroße bronzene Papstdenkmal an der Fassade des Kongregationssaales am Kapellplatz, das der ukrainisch-kanadische Bildhauer Leo Mol entworfen und die Neuöttinger Kunstgießerei Strehle in Bronze umgesetzt hat. Die Marianische Männerkongregation Altötting hat es gestiftet. Zu seinen Füßen haben am Sterbetag des Papstes und in den Tagen danach viele Altöttinger und Pilger ein Lichtermeer von Kerzen entzündet und Blumen niedergelegt.
Damals in Altötting, und tags darauf in München stand an der Seite des Papstes oft der Erzbischof von München und Freising, Joseph Kardinal Ratzinger, nicht nur als Vorsitzender der Bayerischen Bischofskonferenz, sondern auch, weil es ihm ein Herzensbedürfnis war, dem Heiligen Vater seine bayerische Heimat zu zeigen, in der ihm Altötting besonders viel bedeutet. In seinem autobiographischen Buch “Aus meinem Leben” hat Kardinal Ratzinger über diese Heimat und das Land seiner Kindheit zwischen Inn und Salzach berichtet. Darinist zu lesen: “…ich darf nicht vergessen anzumerken, daß Marktl (der Geburtsort) ganz nahe bei Altötting liegt, dem altehrwürdigen Marienheiligtum aus karolingischer Zeit, das seit dem späten Mittelalter zum großen Wallfahrtsort für Bayern und das westliche Österreich geworden ist. Altötting empfing gerade in jenen Jahren neuen Glanz, als der ehemalige Pförtner Bruder Konrad von Parzham selig- und dann heiliggesprochen wurde. In diesem demütigen und grundgütigen Menschen fanden wir das Beste unseres Stammes verkörpert und durch den Glauben zu seinen schönsten Möglichkeiten geführt…“.
Damals, im November 1980, als man Kardinal Ratzinger in Altötting und München an der Seite von Papst Johannes Paul II. sah, ahnte noch keiner, dass der Papst diesen Kardinal zwei Jahre später als seinen wichtigsten Mitarbeiter in den Vatikan nach Rom berufen würde und dass dieser Kardinal ihn 23 Jahre hindurch bis zum Tod des Papstes als Präfekt der Römischen Kongregation für den Glauben beraten würde. Schon gar nicht aber wagte man auch nur zu ahnen, dass dieser Kardinal aus Bayern nach dem Tod des Papstes von den Kardinälen der Weltkirche auf den Stuhl Petri gewählt werden würde. Wie sehr unser neuer Papst Benedikt XVI. den Wallfahrtsort Altötting schätzt, lässt sich auch aus den Worten herauslesen, die er — noch als Kardinal — unter dem Datum vom Januar 2005 einem neu erschienenen Altöttinger Stadtführer als Geleitwort gewidmet hat. Da erinnert er an die ersten Wallfahrten an der Hand seiner Eltern, an den Zauber, den das profan-Glitzernde an den Devotionalienständen nicht weniger auf ihn ausübte, als das Schimmern von Gold und Silber im Heiligtum; an die Kirchen, deren Besuch obligat war und an manch anderes, das da zum Hausrat seines kindlichen Herzens geworden ist. Auch später, als Gymnasiast, als Student, als hochgelehrter Theologe und schließlich als Kardinal, ist er oftmals als Pilger und als Gast nach Altötting gekommen.
Wir erinnern uns an so manche festliche Ereignisse, die er durch seine Anwesenheit gewürdigt und denen er als Zelebrant und durch sein Predigtwort Bedeutung und Glanz gegeben hat. So zum Beispiel die Eröffnung des 500. Jubiläumsjahres der Altöttinger Wallfahrt 1989 oder die Feier des 400. Jubiläums der Marianischen Männerkongregation 1999, deren Sodale schon sein Vater gewesen war, oder das Pfingstfest im Jahr 2001.
Papst Pius VI. als Pilger in Altötting
Altötting und die Päpste, das ist eine lange Geschichte, die nicht erst mit Papst Johannes Paul II. begonnen hat. Fast genau 200 Jahre vor ihm hat schon einmal ein Papst in Altötting als Pilger geweilt.
Wenden wir den Blick zurück ins Jahr 1780. In Wien war die Kaiserin Maria Theresia gestorben. Nach ihr bestieg ihr Sohn Joseph II. den Thron, der weitreichende Gedanken zur Erneuerung des Staates hegte und sofort umzusetzen begann, die tief in die Rechte und das Leben der Kirche einschneiden sollten. Papst war damals Pius VI. (1775−1799). Er unternahm noch einen Rettungsversuch und reiste im Frühjahr 1782 zum Kaiser nach Wien. Der Kaiser zeigte sich dem Papst gegenüber freundlich und höflich — aber auch taub für dessen Anliegen. Und die Leute am Hof, die den Kaiser berieten, allen voran der Kanzler, Fürst Kaunitz, behandelten den hohen Gast arrogant, rücksichtslos und mit unverhohlener Verachtung. So verließ der Papst am 22. April Wien mit dem Ziel München. Dort wollte er mit dem neuen bayerischen Kurfürsten Karl Theodor zusammentreffen, der schon einmal in Rom sein Gast gewesen war und von dem er sich mehr Verständnis erwartete.
Über Melk, Linz und St. Florian erreichten der Papst und sein Gefolge am 24. April Ried, wo der Thurn-und-Taxis’sche Rat Joseph von Blank den hohen Gast empfing und ihn nach Altötting begleitete. Dort traf er am 25. April 1782 abends gegen fünf Uhr ein. Dort war das Hegnenbergische Infanterieregiment mit 500 Mann auf dem Kapellplatz aufgezogen und schoss dreimaligen „Generalsalut“, als der Papst bei der heiligen Kapelle abstieg, wo er und sein Gefolge vom Erzbischof von Salzburg, Hieronymus Graf von Colloredo, dem vom Kurfürsten nach Altötting entsandten Prinz Wilhelm von Birkenfeld sowie der ganzen Regierung von Burghausen und dem Stiftskapitel „unter Läutung aller Glocken“ begrüßt und unter dem Gesang des Benedictus und Te Deum in die Gnadenkapelle zu einem kurzen Gebet geleitet wurde. Danach suchten der Papst und seine Begleitung die Stiftskirche auf und besichtigten die Schatzkammer. Dann bezog der Papst sein Domizil in der Stiftspropstei neben der Stiftspfarrkirche.
„Fast in Thränen zerschmolzen“
„Eine unbeschreibliche Volksmenge“ war zum Teil „viele meilen anhero“ gekommen, um den Papst zu sehen, der sich den Menschen gegenüber sehr „leitselig“ und gnädig zeigte. Eine halbe Stunde lang zeigte er sich am Fenster dem Volk und erteilte dreimal den Segen. Als Geschenk erhielt der Papst vom Stiftsdekan eine in rotem Samt gebundene Geschichte Altöttings und der Hl. Kapelle. Die Bevölkerung, so lesen wir in einem Augenzeugenbericht, war über den hohen Besuch nicht nur hoch erfreut, sondern auch tief gerührt und der größte Teil der Anwesenden „seye vor lauter Trost und Wonnegefühl fast in Thränen zerschmolzen“.
Am frühen Morgen des 26. April suchte der Papst die Heilige Kapelle auf, wo er der von seinem Beichtvater zelebrierten Messe beiwohnte, „worunter vom Chore musizirt und vom Battaillon bei der Wandelung eine dreimalige Salve gegeben“ wurde. Dann segnete der Papst die in der Hl. Kapelle aufbewahrten „Herzen der abgeschiedenen baierischen Regenten“, segnete das Volk und trat um sieben Uhr die Weiterreise nach München an, die zunächst bis Ramsau bei Haag führte, wohin Kurfürst Karl Theodor dem Papst entgegen gekommen war.
Kostbare Apostelreliquie
Soviel zum ersten Besuch eines Papstes in Altötting. Auf rund 300 Jahre ihres Bestehens konnte bei diesem Papstbesuch von 1782 die Wallfahrt Altötting zurückblicken. Doch schon lange vor dem Beginn der Wallfahrt, seit den Zeiten des Herzogs Tassilo III. und des Karolingerkönigs Karlmann war Altötting ein bedeutender zentraler Ort des Landes. Letzterer war der Urenkel Karls des Großen, der von 876 bis zu seinem Tod 880 in Altötting als „König von Bayern und Italien“ residierte, die königliche Pfalz ausbaute, 876 mit Zustimmung von Papst Johannes VIII. ein Pfalzstift errichtete und eine Pfalzkapelle erbauen ließ. Durch das Geschenk eines Papstes wurde diese Bedeutung noch deutlich unterstrichen.
Es war Papst Johannes VIII., der König Karlmann für seine neu erbaute Pfalzbasilika eine kostbare Reliquie schenkte: Eine Armreliquie des heiligen Philippus. Neben den „Heiligen Leibern“ der heiligen Maximilian und Felicitas besaß die Pfalzbasilika damit eine bedeutende Apostelreliquie, und solche waren sehr selten und kostbar, bedenkt man, dass St. Matthias zu Trier das einzige Apostelgrab nördlich der Alpen hütete. Das Pfalzstift zu Altötting wurde durch diese Apostelreliquie auch religiös stark aufgewertet und es ist nicht ausgeschlossen, dass schon damals, 600 Jahre vor dem Beginn der Marienwallfahrt, Pilger nach Altötting strömten.
Im frühen 10. Jahrhundert ging das erste Altöttinger Stift, wohl unter dem Ansturm der Ungarn, zugrunde. Erst drei Jahrhunderte später wurde das Stift durch den bayerischen Herzog Ludwig den Kelheimer und den Salzburger Erzbischof Eberhard II. 1231 mit päpstlicher Genehmigung wiederbegründet. Dieses zweite Stift sollte Bestand haben bis zum Ende des „alten Reiches“. 1803 wurde es in der Säkularisation aufgehoben.
Die Inful der Altöttinger Stiftspröpste
Dieses Stift erlebte 1489 den Beginn der Wallfahrt, bald darauf die Wirren der Glaubensspaltung und dann nach vielen Jahrzehnten wieder den glanzvollen Wiederaufstieg der Wallfahrt. Dazu leistete einen wesentlichen Beitrag der Altöttinger Stiftspropst Martin Eisengrein. Auch ihm und der Wallfahrt erwies sich ein Papst als großer Förderer: Pius V., der ihm „und seinen Nachfolgern für alle Zeiten“ das Recht verlieh, Mitra, Stab und Ring zu tragen. Fast wäre dieses Recht nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil „eingeschlafen“, dank Papst Johannes Paul II. wurde es wieder zum Leben erweckt.
Auch von Papst Pius IX. hütet Altötting ein kostbares Geschenk: Eine goldene Ampel mit dem päpstlichen Wappen und der Tiara im Oktogon der Hl. Kapelle.
Päpstliche Basilika
Zu den päpstlichen Förderern Altöttings zählten im frühen 20. Jahrhundert Papst Pius X., der 1913 die ein Jahr zuvor vollendete große Wallfahrtskirche St. Anna zur Päpstlichen Basilika erhob. Zum Dank dafür wurde er schon wenige Jahre nach seinem Tode vom Maler des Hochaltargemäldes auf diesem Bild „verewigt“. Auch Papst Pius XI. darf man einen Förderer Altöttings und seiner Wallfahrt nennen, und zwar gleich einen zweifachen. 1929 genehmigte er die Wiedererrichtung des Altöttinger Stiftes nach über 100-jähriger Vakanz. 1930 sprach er den Pfortenbruder Konrad von Parzham selig und vier Jahre später feierlich heilig.
Ein großer Freund Altöttings auf dem Stuhl Petri war schließlich sein Nachfolger, Pius XII.. Schon als päpstlicher Nuntius suchte er mehrmals Altötting auf und von hier berief er anno 1918 aus dem damals noch jungen Altöttinger Heilig-Kreuz-Kloster die blutjunge Schwester Pascalina Lehnert in seine Dienste, die ihm den Haushalt in der Nuntiatur zu München, später in Berlin und schließlich in Rom bis zum Tode von Papst Pius 1958 führen sollte. Noch wenige Monate vor seinem Tod schenkte Pius XII. „seinem lieben Altötting“ einen Kelch, der heute in der Schatzkammer aufbewahrt wird.
Text: Peter Becker